Autor: Lorenz Pfeiffer, Henry Wahlig
Verlag: Werkstatt
Seiten: 576
Inhaltsangabe vom Verlag:
Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begannen deutsche Fußballvereine im Frühjahr 1933 mit dem Ausschluss ihrer jüdischen Mitglieder.
Juden waren nun gezwungen, sich in eigenen jüdischen Sportgruppen zu organisieren. Diese Vereine bauten in den kommenden Jahren, im Schatten von Terror und Verfolgung, ein beeindruckendes Sportsystem mit separaten Wettkämpfen und Meisterschaften auf. Lorenz Peiffer und Henry Wahlig haben die Geschichte der knapp 200 jüdischen Fußballvereine aufgearbeitet, die bis zu den Pogromen des 9. November 1938 im Deutschen Reich existierten. In detailreichen Porträts gelingt es ihnen, ein lebhaftes Bild dieser untergegangenen Fußballkultur nachzuzeichnen.
Rezension von 11FREUNDE:
Im Oktober 2014 erinnerten eine Choreografie der Ultra-Gruppierung Schickeria und ein auf ihre Initiative hin produzierter ARD-Film an Kurt Landauer, den einstigen Präsidenten des FC Bayern. Landauer war jüdischen Glaubens und sah sich 1933, nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, gezwungen, sein Amt niederzulegen. Er verlor auch seine Arbeitsstelle in der Anzeigenabteilung der „Münchner Neuesten Nachrichten“, 1938 wurde er im Konzentrationslager Dachau interniert. 1939 gelang ihm die Flucht in die Schweiz, vier seiner Geschwister blieben in Deutschland und wurden ermordet. Eine Lebensgeschichte, die für so viele andere steht, die unerzählt bleiben – die aber auch suggeriert, am 30. Januar 1933 sei über die jüdische Bevölkerung ganz unmittelbar die finstere Nacht hereingebrochen. Dass dem nicht überall so war, sondern es im Schatten des Terrors zu einer kurzen Blüte der jüdischen Fußballkultur kam, zeigen nun Lorenz Peiffer und Henry Wahlig im vorliegenden Werk. Hatte es vor 1933 nur rund 40 jüdische Fußballvereine gegeben, die überwiegend in der VINTUS-Liga im Rhein-Ruhr-Gebiet organisiert gewesen waren, schnellte die Zahl danach aufgrund etlicher Neugründungen auf 200 hinauf – jüdische Fußballer, die aus ihren Vereinen vertrieben worden waren, taten sich nun zusammen. Ein Kapitel der Kulturgeschichte, das die Historiker in akribischem Quellenstudium (allein 5000 Seiten zeitgenössischer jüdischer Zeitungen werteten sie aus) dem Vergessen entrissen haben – und das sich im Kleinen wie im Großen mit kaum nachlassendem Erstaunen liest. „Es ist aus heutiger Sicht zunächst verwunderlich“, schreiben die Autoren, „dass gerade der Sport im Leben der jüdischen Bevölkerung in der Zeit der Diskriminierung, Verfolgung und Entrechtung eine so große Bedeutung erhielt. Erinnerungen von Zeitzeugen lassen vor allem zwei Schlüsse zu: Zum einen wurde der Sportplatz zu einem Schutzraum, in dem Aktive und Zuschauer die Sorgen […] vergessen konnten. Zum anderen bot der Sport […] eine fast einzigartige Möglichkeit, ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstbewusstsein zu stärken und zu erhalten. Von den Nationalsozialisten als körperlich degeneriert und minderwertig gebrandmarkt, konnten die Juden durch den Sport sich selbst und ihrer Umwelt demonstrieren, zu welchen Leistungen sie imstande waren.“ Eine Form des gewaltlosen Widerstands also, auf 570 Seiten im zwar lakonischen Ton der Geschichtsforschung, aber dennoch packend nacherzählt. Ein unbedingt notwendiges Buch.
Medienzitate:
Über die Schicksale von Fußballern wie Julius Hirsch oder Gottfried Fuchs, die vor 1933 in die Nationalmannschaft berufen wurden, ist heute viel bekannt. Wenn die Autoren nun die zahlreichen unbekannten Fußballvereine aufarbeiten und damit eine Basis schaffen für weitergehende lokale Forschungen, entreißen sie auch diese Sportlerinnen und Sportler der »damnatio memoriae«, die Verdammung des Andenkens, die ihnen nach der Vertreibung oder Ermordung nach der Zeit des NS-Regimes anheim fiel. Das ist das große sozialgeschichtliche Verdienst dieser Pionierarbeit. (Deutschlandfunk)
Schildert auf fast 600 Seiten erstmals die Geschichten von 200 Vereinen, die deutsche Juden gründeten, meist nachdem die Landesverbände des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach der Machtübernahme Hitlers 1933 mit dem Ausschluss jüdischer Mitglieder begannen. Geschichten, die viele Deutsche zu lange vergessen haben. (Süddeutsche Zeitung)